Blaulicht 195 - Johann,

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Blaulicht
195
Gerhard Johann
Geiselmord
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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 1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin Berlin 1979
Lizenz Nr 409 160/104/79 LSV 7004
Umschlagentwurf: Angelika van der Borgth
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 386 7
00025
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Am Ortseingang von Boncourt, knapp hundert Meter hinter
dem Schild mit dem Namen des Städtchens, liegt das Haus des
Bäckers. Der Platz ist dem Geschäft abträglich. Hier kann nur
der etwas verdienen, der größere Semmeln, knusprigere Brote
und raffiniertere Törtchen als der Konkurrent auf dem
Marktplatz zu backen versteht.
Solch Zwang zur Überbietung von Quantität und Qualität hat
sich nach dem Tod des Patrons vor etwa drei Jahren noch
gesteigert. Denn nun führt dessen Witwe, Gilberte Ribaud, eine
rundliche und resolute Frau in der Mitte der Vierzig, das
Regiment über Bäcker und Backwaren. Und eine Bäckerin hatte
es in Boncourt seit Menschengedenken nie gegeben. Das heißt
aber nicht, daß man gegen eine Frau wie Gilberte etwas gehabt
hätte, nein, sie war alteingesessen und respektabel. Der
Bäckerladen am Ortseingang von Boncourt war die erste Station
des jungen Mannes gewesen. So jedenfalls stellte es sich später
heraus, als die Bäckerin ihre Aussage auf dem Kommissariat
machte.
Sie sagte: »Er fiel mir natürlich sofort auf. Denn am Morgen
um sieben Uhr betritt sonst kein Fremder den Laden. Aber nur
deshalb. Nicht etwa, weil er mir Furcht eingejagt hätte. Nein, das
war keiner von den rüden Typen, die mit dem Klappmesser oder
dem Schlagring in der Tasche ihre Einkäufe machen. Ich würde
sagen, er wirkte bescheiden, fast gehemmt. Er schien gerade mit
dem Frühzug aus Paris angekommen zu sein. Er verlangte zwei
Stück Kuchen, schön frisch. Die habe ich ihm dann verkauft,
und er hat mit kleiner Münze bezahlt, das weiß ich noch ganz
genau. Geredet hat er kaum. Nein, er hat bloß auf den Kuchen
gezeigt und zwei Finger hochgehalten. Es wirkte fast so, als sei
er sprachgestört, als stottere er vielleicht und habe Angst vor
dem Sprechen. Aber das stimmte nicht, denn beim Hinausgehen
hat er laut und vernehmlich ›Au revoir, Madame‹ gesagt.«
Geht man von der Patisserie Ribaud weiter in Richtung auf das
Stadtzentrum, so beeindrucken die Bürgerhäuser, die rechts und
links der Straße stehen. Immer noch machen sie etwas her. Und
hinge da irgendwo in einem Vorgarten der Hinweis, daß eins der
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Häuser zu verkaufen sei, man könnte schon Lust verspüren, es
zu erwerben, um seinen Lebensabend hier zu verbringen.
Bevor nun die Straße einen Knick nach rechts, auf den Markt
zu, macht, fangen die Häuser an, sich zu drängeln. Sie stehen
jetzt eins am anderen, auf Tuchfühlung gewissermaßen, und sie
sind viel auffälliger in ihrer Unterschiedlichkeit. Eins ist groß
und breit, hat eine stuckverzierte Fassade und Rolljalousien vor
den Fenstern, das nächste dagegen ist schmal wie ein Handtuch
und wirkt, als habe es sich in den engbemessenen Zwischenraum
zweier großer Häuser hineingequetscht. In einen dieser Gebäude
mit winzigen Fenstern und einem dünnen Schornstein gibt es
einen Laden, eher ein Lädchen; er hat keinen Platz, ein richtiges
Schaufenster zu zeigen. In einer Art Nische liegen angestaubte
und etwas ausgeblichene Schachteln von gebräuchlichen
Zigarettenmarken wie Gauloises und Gitanes, und hinter den
blauen einheimischen sind auch ein paar Packungen Winston
und Pall-Mall zu entdecken, sie wirken wie Pfauen in einem
Hühnerschwarm. Neben der Eingangstür auf dem Gehweg steht
ein Drahtgestell mit allen möglichen Tageszeitungen, ganz oben
LE MONDE.
Der Inhaber des Tabak- und Zeitungsladens war in Boncourt
nur unter seinem Vornamen Serge bekannt. Er stammte aus
Jugoslawien und war während der Kriegsereignisse rein zufällig
hierher verschlagen worden.
Der junge Mann hatte bei ihm eine Zeitung erworben.
Auf dem Kommissariat sagte Serge später folgendes aus: »Der
Junge, ich meine, der Bankräuber, stand schon vor dem
Geschäft, als ich die Tür aufschloß. Er sprach mit mir, jawohl,
aber mit ziemlich leiser Stimme, wie einer, der etwas erkältet ist.
Einen bösartigen oder verkommenen Eindruck machte er
keinesfalls auf mich. Er verlangte eine Tageszeitung. ›Welche
darf es sein?‹ fragte ich ihn, denn es gibt ja so viele verschiedene
Blätter, daß ich sie selber gar nicht aufzählen könnte, und
natürlich führe ich sie auch nicht alle. Auf meine Frage zeigte er
auf LE FIGARO. Das verwunderte mich etwas. Ist es mir doch
noch nicht vorgekommen, daß ein Mensch seines Alters gerade
den FIGARO verlangt. Aber ich glaube, das ist nicht von
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