Blaulicht 274 - Müller,

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Blaulicht
274
Wolf Müller
Aschenbrödels Schuh
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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 1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1989
Lizenz Nr.: 409 160/204/89 LSV 7004
Umschlagentwurf: Michael de Maizère
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung: Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 858 8
00045
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Ungewöhnlich warm ist dieser Novemberabend, die Luft feucht,
reglos hocken die Krähen im Geäst, aus der frisch
umgebrochenen Erde des Gartens steigt Dampf gegen den
niedrigen Himmel.
Hoch oben im Apfelbaum, von dünnen, in der Dunkelheit
nicht mehr auszumachenden Zweigen gehalten, schwebt ein
Gerät, ein Rechen vielleicht.
Unten, zu ebener Erde, richtet sich eine Gestalt auf, ein
krummer, breitschultriger Mann, läßt den Spaten fallen,
balanciert geräuschlos über die Schollen auf das Häuschen zu.
Neben dem Fenster bleibt er stehen und lauscht.
Dann stößt er mit einem Ruck die Tür auf.
Im Halbdunkel der Küche sitzt ein flachsköpfiger Bursche und
hört der Frau zu, deren Hände im Lichtkegel der Lampe überm
Tisch geschäftig hin- und hergehen.
»Das Grausigste in dieser Gegend seit Menschengedenken«,
erzählt die Alte beim Zwiebelschneiden, »wir kommen gar nicht
drüber weg.« Sie schneuzt sich und zwinkert heftig. »’s war noch
hell, Ende September. Ich war auch grade beim
Abendbrotmachen, Uwe im Garten. Da, auf einmal dieses
Schreien. Ganz seltsam, so… fiepend. Und durchdringend – als
würd ’n Tier bei lebendigem Leibe geschlachtet. Ich dacht’ zuerst
wirklich: da schreit ’n Viech. Wie sie Luft geholt hat, ist mir ’n
Rätsel, sie hat ohne Pause geschrien. Entsetzlich, ich kriegte
sofort Gänsehaut. Jetzt noch, wenn ich nur daran denke.«
Die Frau zeigt dem Besucher ihren braunfleckigen bloßen
Unterarm; der junge Mann besieht ihn höflich. Die Alte schnieft
und berichtet weiter: »Ich bin raus, wollte wissen, was Uwe
meint, aber der war weg. Zu sehen war von hier aus nichts. Ich
kann nicht fort – meine Beine. Aber Uwe war natürlich
hingerannt. Oben auf dem Hügel die Schmitzsche Garage in
Flammen, am Boden jemand Unbekanntes, das sich schreiend
rumwälzt. Nachbarn hatten Decken drübergeworfen, die waren
an der brennenden Haut sofort festgeklebt. Das Schreien ließ
nicht nach, im Gegenteil, die Tonlage wurde immer höher. Aus
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dem Garagentor Flammen über Flammen. Das Auto da drinnen
mußte jeden Moment explodieren. Zum Glück war jemand so
geistesgegenwärtig gewesen – und mutig genug! –, mit ’ner
Stange – so heiß war das schon! – das Tor zuzuschieben; damit
war nun die schlimmste Gefahr vorbei.
Dann hörte ich die Feuerwehr, den Rettungswagen. Und die
Polizei. Na, da war mir klar, daß mein Uwe nicht so schnell
wiederkommen würde.«
Die Alte vernimmt ein Geräusch im Vorraum, hält inne.
Die Tür geht auf, und ein graumelierter Mann, breitschultrig,
Ende Vierzig, in beschmierten Gummistiefeln, die Hemdsärmel
aufgekrempelt, kommt herein, dehnt und reckt sich mit
schmerzverzerrtem Gesicht und faucht: »Was erzählst du da?« –
»Ach, Uwe«, sagt die Frau beschwichtigend, »das ist Herr… Wie
war der Name?«
»Rabe«, sagt der Junge und springt auf.
»… Herr Rabe. Und das ist mein Sohn Uwe. Er kommt
immer und macht mir den Garten.«
Unzufrieden nimmt Uwe die entgegengestreckte Hand. »’n
blonder Rabe. Haben sich wohl verflogen? Übrigens, ich heiße
Graupner.«
Der Junge begegnet dem strengen Blick mit Aufmerksamkeit.
»Herr Rabe interessiert sich für…« Ein Räuspern ihres Sohnes
läßt die Frau stutzen. »Hab ich zuviel gesagt?
Ich
kann doch
erzählen, was ich weiß.« Die Alte zuckt die Achseln und überläßt
den Besucher ihrem Sohn.
»Ihren Ausweis!«
Wortlos zieht Rabe das blaue Büchlein.
»Lars Rabe«, liest Graupner, »aus Berlin. Was führt Sie her?«
Lars Rabe überlegt einen Moment, sieht Graupner gespannt
an und sagt: »Der Mord auf dem Hügel.«
»Mord? Woher wollen Sie das wissen?«
Rabe überlegt wieder. »War es keiner?«
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