Blaulicht 206 - Mohr,

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Blaulicht
206
Steffen Mohr
Ich morde heute zehn
nach zwölf
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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 1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1980
Lizenz-Nr.: 409-160/110/80 · LSV 7004
Umschlagentwurf: Brigitte Ullmann
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
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O Herr, laß mich durchhalten, dachte der für einen Kaplan
vielleicht zu gut gewachsene und mit einem zu schönen Gesicht
begabte junge Mann. Natürlich kam ihm sein Aussehen, die
braunen Augen zum Beispiel und das rotblonde, an Tippy
Honnigans Wuschelkrause erinnernde Haar, gerade in einer
Großstadtgemeinde zugute. Wußte man doch, daß die Jugend
von Popstars wie Honnigan und Konsorten schwärmte. O Herr,
barmte er innerlich, aber auf seinen Gesichtszügen malte sich
nichts weiter als unbeschwerte Freundlichkeit. Im Miniradio lief
mit angemessener Lautstärke das Pokalspiel Erfurt gegen Jena,
das Kaplan Berger langweilte.
Der große Zeiger der Sakristeiuhr klickte und zog langsam auf
fünf. Flüchtig sah der junge Priester auf die Uhr, die über dem
kleinen römischen Kreuz hing. Dann schaltete er das Radio aus,
versteckte es in der untersten Lade des Paramentenschranks und
streifte sich den glänzend schwarzen Talar über Pulli und Jeans.
Nun ähnelte Kaplan Berger doch einer geistlichen Person.
Von der Krause abgesehen, glich er fast aufs Haar einer der
milden Heiligengestalten auf den großen bunten Bildern des
Fräulein Klepzig. Zu ihrem Ärger waren diese bonbonsüßen
Darstellungen heiliger Männer und Frauen vor einem Dutzend
Jahren aus der Kirche entfernt und durch, wie sie unentwegt
mäkelte, »häßliche moderne Fratzen« ersetzt worden. Seitdem
lehnten sie nebeneinander an der dem Fenster
gegenüberliegenden Wand des Wäschebodens. Die gute
Pfarrhaushälterin vergaß bei keiner großen Wäsche, auf ihrer
Ausstellung Staub zu wischen.
Das alles wußte der Kaplan. Es interessierte ihn ebenso stark,
wie ihn weibliche Wesen überhaupt interessierten. Lutz Berger
hatte sich, eigentlich bereits ab seinem fünfzehnten Lebensjahr,
den Idealen seines Berufes verschrieben. Dazu paßte nun einmal
keine Frau, war sie nun reizvoll und attraktiv oder eine alte
Jungfer. O Herr, seufzte er noch einmal und schritt, als der
große Zeiger auf eine Minute vor die Zwölf rückte, durch die
niedrige Sakristeitür hinaus in die Kirche. Punkt fünf Uhr
begann an jedem Sonnabend die Beichte.
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Erwartungsgemäß fand Kaplan Berger das Gotteshaus leer.
Durch die Scheiben des Seitenschiffs drang gedämpftes Licht.
Das reichte im Sommer voll aus, um den Gläubigen, die bis
sieben beichten kamen, das Lesen im Gebetbuch zu erleichtern.
Den Kindern half es, die Krakelschrift auf ihren Sündenzetteln
zu erkennen. Tiefere Dämmerung herrschte dagegen im
Beichtstuhl.
In dessen mittleren Teil nahm Berger Platz und zog sogleich
den violetten Vorhang hinter sich zu. Er schaltete ein schwaches
Lämpchen ein. Das wollte er beim Eintreten eines Beichtkindes
in den Seitenteil selbstverständlich wieder ausknipsen.
Der Kaplan mochte die Beichte nicht, weil er der Auffassung
war, es sei richtiger, sich mit seinen Mitmenschen an einen Tisch
zu setzen, um normal und bequem über alle Probleme zu reden.
Freilich bestand diese Möglichkeit. Und wie oft hatte er junge
Leute in seinem Zimmer unter dem Dach empfangen, damit er
ihnen eine Last abnehmen oder gar einen Weg weisen konnte,
Schwierigkeiten in der Lehre, zu Hause oder in der Schule zu
klären! Leider gab es diese mittelalterliche, die sogenannte
Ohrenbeichte noch, zu der man sich in eine »Holzkiste«
zwängen mußte und das Beichtkind in die »Kiste« nebenan
kroch. Da kniete es nieder, während er, der Priester, saß, und
wisperte einem das Register seiner Sünden durch ein Gitter in
der Trennwand ins Ohr. Unnatürlich. Unnormal.
Was wollte man machen? Die Gläubigen selbst verlangten
nach solcher Geheimniskrämerei. Lutz Berger verstand sie nicht.
Er hatte ein in braunes Leder gebundenes Buch
vorgenommen, das hier immer lag, und sann über die Worte
nach: »Wahrlich, Petrus, ich sage dir: Ehe der Hahn heute nacht
kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.« Es war reiner Zufall,
daß der Kaplan gerade über diesen Text meditierte. Das rote
Leseband hatte an der Stelle gelegen. Irgendwo oben, vielleicht
im Himmel, verhallte der letzte Schlag der Kirchturmuhr.
Der junge Geistliche hörte trippelnde Schritte, die sich dem
Beichtstuhl näherten. An der Art, wie diese Schritte mit Andacht
auf dem steinernen Boden auftraten und doch jenen Krach
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