Blaulicht 221 - Siebe,
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Blaulicht
221
Hans Siebe
Die Vergeltung
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin Berlin 1982
Lizenz Nr 409 160/117/82 LSV 7004
Umschlagentwurf: Bernd A Chmura
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 518 4
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Der Nachtwind bläst die letzten Blätter von den
Kastanienbäumen; naß und schwer fallen sie zu Boden, und es
regnet, regnet, regnet. Die Lauwitzer schlafen ungestört. Seit der
Fernverkehr um die Kreisstadt herumgeführt wird, donnern
keine Lastzüge mehr über holpriges Pflaster, daß die
Fensterscheiben klirren. Nur ein Moped pöttert die Ernst-
Thälmann-Straße entlang. Der Fahrer ist in Leder gehüllt, das
naß blinkt, sobald er unter einem Peitschenmast mit
orangefarbigem Licht hindurchfährt. Das Moped biegt in den
Kreisverkehr des Marktplatzes ein, umrundet diesen und tuckert
wieder zurück.
Vor dem Jugendmodehaus stoppt der Fahrer, und das Pöttern
verstummt. Gegenüber, im Schaufenster des Goldschmieds
Hillig, ist das Schutzgitter herabgelassen, und auch die
Beleuchtung, die ansonsten Ringe und Kettchen golden und
silbern funkeln läßt, wurde bereits abgeschaltet.
Der Mann startet wieder und fährt zum Wall, der das
Städtchen parkartig umfängt und an den die Grundstücke der
Ernst-Thälmann-Straße grenzen. Vorsichtig schiebt der Fahrer
sein Moped ins Gebüsch. Er kennt sich aus, läuft einen
schmalen Steg entlang, der den Stadtgraben überbrückt, und
steigt über einen Staketzaun; unter seinen Schuhen knirscht Kies,
selbst im Nachtdunkel ist die herbstliche Öde des Gartens zu
ahnen.
Eine brusthohe Mauer begrenzt den Hof, Überrest der aus
Feldsteinen errichteten Stadtmauer. Der Mopedfahrer klettert
geräuschlos hinüber. Das linke Fenster gehört zum Papierwaren-
Konsum, das rechte zu Hilligs Goldschmiedewerkstadt, es ist
außen vergittert. Der Eindringling lauscht. Doch nur der Regen
plätschert.
Auf Zehenspitzen nähert er sich dem Fenstergitter. Die
Hände, in groben Handschuhen steckend, packen es und rütteln,
es bewegt sich keinen Millimeter; der soliden Handwerksarbeit
konnten die Jahrzehnte nichts anhaben.
Die in Leder gehüllte Gestalt klimmt empor. Torsten Hillig
liegt wach und giert nach einer Zigarette, aber er bezähmt sich,
es würde die Frau aufwecken, die neben ihm liegt, deren Haut er
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warm und samtig spürt und die ruhig atmet. Sie teilen die
schmale Liege in der Werkstattecke hinter dem Wandschirm seit
einem Jahr miteinander.
Hillig hebt den Kopf, ihm ist, als kratze etwas am
Fenstergitter. Seine Augen durchdringen die Finsternis und
machen die Konturen der kargen Einrichtung aus. In der Ecke
zerhackt die Standuhr die Zeit, und der Gongschlag verkündet
die zweite Stunde. Ehe der Ton verklingt, klirrt Glas und fällt
splitternd vom oberen Fensterflügel herab.
Bärbel fährt mit einem Schrei hoch, Hillig tastet nach der
Stehlampe, das Licht geht an, und beide starren zum Fenster
empor. Der Vorhang klafft spaltbreit; da ist ein blasser ovaler
Fleck, ein Gesicht, durch Lederkappe und Schutzbrille
unkenntlich gemacht. Hillig springt vom Lager, und Bärbel zieht
die Decke ans Kinn. Auf dem Hof scheppert die Mülltonne, der
Eindringling benutzt sie wohl, um über die Mauer zu kommen.
Die Frau starrt Hillig an, der erst jetzt in seine Hose steigt.
»Was war das?« fragt sie, und man merkt ihr keine Angst an.
»Du mußt hinterher!«
»Zwecklos.« Hillig winkt ab. »Der ist längst auf und davon!«
Endlich kann er rauchen, seine Hände zittern, als er den
Ascher vom Werktisch holt; er setzt sich auf die Bettkante und
inhaliert den Rauch.
»Du bist gut, bist du!« sagt sie. »Da will einer einbrechen, und
du tust nichts. Du mußt die Polizei rufen!« Er sieht Bärbel
erstaunt an und versteht sie nicht. Will sie wirklich, daß ihre
Beziehung »aktenkundig« wird? Die Einundzwanzigjährige hat
ein Verhältnis mit ihrem dreizehn Jahre älteren Chef. Das wäre
Tagesgespräch in Lauwitz.
»Ist das dein Ernst?« fragt er. »Ich soll die Volkspolizei
rufen?«
»Na und?« sagt Bärbel.
Die beiden Worte verraten ihm, daß sie nichts dabei findet,
wenn ihre Beziehung bekannt wird. Vielleicht ist sie es längst,
überlegt er. Was aber soll werden, wenn Monika, seine Frau,
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