Blaulicht 243 - Johann,
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Blaulicht
243
Gerhard Johann
Ermordete leben
nicht lang
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1985
Lizenz Nr.: 409 160/125/85 LSV 7004
Umschlagentwurf Gerhard Bunke
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 652 3
00045
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Daß ich für einige Zeit zum Stammgast in einer
Bahnhofsgaststätte wurde, hatte besondere Gründe. Es begann
damit, daß ein sommerlicher Gewitterregen von sintflutartigem
Ausmaß niederging. Meine Kleidung war auf so etwas nicht
eingestellt, bestand sie doch nur aus Jeans und einem
kurzärmligen Hemd. So rettete ich mich zunächst in den
Bahnhof und danach in die längs der Straße liegende Gaststätte.
Nachdem ich mit dem auch schon feuchten Taschentuch die
Tropfen auf meiner Brille verschmiert hatte, blieb ich für ein
paar Sekunden im Eingang stehen, um nach einem freien Tisch
zu suchen. Diese Absicht wurde mir dadurch erschwert, daß ich
den Raum wie vernebelt sah. Lag es an den beschlagenen
Brillengläsern oder am Tabaksqualm, in den alles gehüllt war –
ich weiß es nicht. Ich begann umherzuwandern und schlängelte
mich zwischen Tischen und Stühlen, Reisetaschen, Koffern und
ausgestreckten Beinen hindurch. Einen freien Tisch fand ich
nicht.
Ich setze mich nicht gern zu Fremden an den Tisch. So etwas
ist mir zuwider, weil ich mich dabei wie ein Eindringling fühle,
einer, dem nichts anderes zugetraut wird, als daß er unter allen
Umständen soviel wie möglich von den intimsten Gedanken und
Gesprächen der schon Dasitzenden erfahren will.
Da ich nicht in den Regen zurück wollte, blieb mir keine
andere Wahl, ich mußte mir an einem besetzten Tisch einen
freien Platz suchen. An einem Tischchen mit nur zwei Stühlen
sah ich einen älteren Mann sitzen. Er sah recht passabel aus und
machte mir nicht den Eindruck, als werde er mich groß
belästigen. Da er allein war, blieb es mir erspart, so zu tun, als
hörte ich nicht auf fremde Dialoge, was ich denn ohnehin nicht
vorhatte.
»Gestatten Sie, ist dieser Platz noch frei?«
Der Mann schaute hoch und nickte. Mehr nicht. Ich schloß
daraus, daß er nicht allzu gesprächig sein mochte. Das war mir
lieb.
Daß ich mich darin getäuscht hatte, sollte mir erst später
klarwerden.
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Nachdem ich mich gesetzt hatte, spürte ich, wie mein
Gegenüber hin und wieder einen kurzen Blick auf mich warf, er
taxierte mich: meine Gefährlichkeit, meine Redseligkeit? Ich
weiß es nicht. Er benahm sich dabei so, als täte er etwas
Unerlaubtes. Sobald ich ihn ansah, schlug er die Augen nieder.
Sehr wichtig nahm ich das alles nicht, war ich doch froh, dem
Regen entkommen zu sein und einen Platz gefunden zu haben.
Dennoch war die Situation am Tisch noch immer ungeklärt.
Sollte ich schweigen? Oder erwartete der Mann, daß ich ein
Gespräch mit ihm anfinge? Es liegt mir überhaupt nicht,
Belanglosigkeiten und Gemeinplätze zu verbreiten: Ein
schauderhaftes Wetter ist das wieder, nicht wahr? Ein
verregneter Sommer, das hatten wir schon. Sind Sie auf der
Durchreise? Oder auf Urlaub? Unangenehm, dieser Qualm
hier…
Er kam mir zuvor. »Wissen Sie, was ein Krikidol ist?«
Er sah mich nun voll an und wagte es sogar, mit einem Auge
zu blinzeln. Vielleicht war das aber nicht Absicht.
»Ein was?«
»Ein Krikidol.«
Ich mußte gestehen, daß ich von diesem Gesprächsbeginn
etwas frustriert war. Lief der nicht ganz rund? Das hatte mir
noch gefehlt. Vorsichtig schaute ich mich nach einem anderen
freien Platz um. Da ich bis dahin nichts bestellt hatte, besaß ich
noch meine Mobilität. Der Mann schaute mich, wohl eine
Antwort erwartend, ununterbrochen an. Ich hätte vorher wissen
können, daß es nicht gut geht.
»Keine Ahnung«, sagte ich so überdrüssig, wie es mir möglich
war.
»Das dachte ich mir. Sie wissen nicht, was ein ›Krikidol‹ ist?
Ganz einfach: das letzte Krokodil vor der mittelhochdeutschen
Lautverschiebung.«
Ich lachte nicht, und er lachte auch nicht, noch nicht. Aber er
ließ sich keine meiner Reaktionen entgehen. Da ich aber ein
Eindringling, ein Spätergekommener war, er dagegen ein
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