Blaulicht 262 - Sander,
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Blaulicht
262
Nicolas Sander
Das Kettenhemd
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1987
Lizenz Nr.: 409 160/208/87 LSV 7004
Umschlagentwurf Jürgen Malik
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 754 2
00045
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Simon Lembach und Andre Netzer waren elf und besuchten die
fünfte Klasse der Polytechnischen Oberschule »Rosa
Luxemburg« einer Kreisstadt im Bezirk Gera.
Obgleich charakterlich und äußerlich sehr verschieden, waren
sie unzertrennliche Freunde; begegnete man einem von ihnen,
war der andere nicht fern.
Simon war groß für sein Alter und schlank. Er besaß ein
flottes Mundwerk und eine leichte Auffassungsgabe, zudem
einen frühreifen Charme, der ihm die Gunst der überwiegend
weiblichen Lehrkräfte seiner Schule sicherte. Er wußte längst,
daß man gemeinhin bereit war, seine handfesten Streiche und
Ungezogenheiten schnell zu vergessen, wenn er mit
wohlgesetzten, artigen Worten um Verzeihung bat und beschämt
seine schönen Augen niederschlug. Auch bei seinen Mitschülern
war er beliebt und anerkannt, vor allem die Mädchen umwarben
ihn.
Andre hingegen war klein und sommersprossig und von eher
zurückhaltendem, fast verschlossenem Wesen. Um in der Schule
durchschnittliche Leistungen zu erreichen, mußte er büffeln, und
er tat es, um nicht zu sehr dem Freunde nachzustehen. Dennoch
war er Simon ein durchaus ebenbürtiger Partner. Was der an
behender Intelligenz aufbrachte, ersetzte Andre durch
Nachdenklichkeit, wenn der Freund spontan und leichtsinnig
vorpreschte, hielt er sich zurück und dämpfte dessen Übermut.
So ergänzten sie sich zu ihrer beider Vorteil, rieben sich zuweilen
auch aneinander, ohne daß ihre Freundschaft dadurch Schaden
nahm.
Sie hatten viele gemeinsame Hobbys, fuhren Rad, gingen ins
Kino, wann immer die Zeit und das Taschengeld (das sie
übrigens untereinander aufteilten, Simon bekam mehr als Andre)
es erlaubten, traten gemeinsam dem Computerzirkel des
Kreiskulturhauses bei, und sonntags liefen sie zum Fußballplatz,
um ihrer Mannschaft zuzujubeln, die unlängst in die Bezirksliga
aufgestiegen war.
Jeder von ihnen besaß aber auch ein eigenes Terrain; Simon
war ein eifriger Leser in der Bibliothek seines Vaters, und Andre
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hegte sieben Deutsche Riesen, Rassekaninchen, die sogar schon
für preiswürdig befunden worden waren.
Seit einigen Monaten war eine neue Leidenschaft in ihre
Beziehung getreten. Sie hatten entdeckt, daß entlang ihres
heimatlichen Tales im Mittelalter reges ritterliches Treiben
geherrscht hatte; die Burgruinen an den Hängen kündeten noch
davon. Pfeil und Bogen, Köcher und buntbemalte,
fransenbesetzte Wamse und Leggins wichen Rüstungen, die sie
sich aus Pappmaché und Stoffresten fertigten. Statt mit
»Fünfundvierzigern« wurde jetzt mit Schwertern gekämpft, die
sie aus Holz geschnitzt und mit Silberbronze angestrichen
hatten.
Simon und Andre hatten sich in die tapferen Ritter Ivanhoe
und Eisenherz verwandelt und fochten fürderhin mit ihren
Zauberschwertern für Recht und Gesetz.
Seit Beginn des neuen Schuljahres zogen sie fast jeden
Nachmittag zu den Niederungen der Saale, um ins Lager der
feindlichen Ritterstreitmacht überzusetzen, das sich am anderen
Ufer des Flusses befand.
Schon einmal waren sie von Einsiedel, dem ehemaligen
Flußfischer, erwischt worden, als sie unerlaubt eines seiner
Boote benutzten, die jener im Sommer an Touristen vermietete.
Sie hatten sich jedoch von dem Gebrüll des Alten nicht
entmutigen lassen, sie wußten, sie hatten die schnelleren Beine;
Einsiedel litt an Gicht.
Wenn sie ihn in der Nähe des Ufers oder an seinen Booten
hantieren sahen, zogen sie sich zurück und spielten woanders.
Doch immer seltener verirrte sich jetzt noch ein Urlauber zu den
Bootsstegen; Einsiedels Armada dämmerte dem Herbst
entgegen. Der Alte kam nur noch hin und wieder an die Saale,
und wenn es regnete, überhaupt nicht. Die Jungen nutzten das
aus, bis er seine Boote ankettete und die eisernen Trossen mit
soliden Vorhängeschlössern sicherte.
Aber Simon wäre nicht Simon gewesen, wenn er sich damit
abgefunden hätte.
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