Blaulicht 270 - Johann,
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Blaulicht
270
Gerhard Johann
Das seltsame Ende des
Doktor Vau
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1988
Lizenz Nr.: 409 160/208/88 LSV 7004
Umschlagentwurf: Jürgen Malik
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 808 6
00045
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Schönhauser Allee stieg sie in die S-Bahn und setzte sich mir
gegenüber. Während ich Zeitung las, stellte ich bei kurzem
Aufschauen fest, daß sie ein offenes, schmales und gebräuntes
Gesicht hatte, ein T-Shirt und eine leichte sandfarbene Hose
trug. Als ich sie nach zwei oder drei Stationen wieder mit einem
Blick streifte, bemerkte ich, daß sie mir zulächelte. Es war aber
auch nicht auszuschließen, daß sie über mich lachte. Im
allgemeinen sind solche Gefühlsregungen in der Öffentlichkeit
verpönt. Ich tat das, was in solchem Fall als empfehlenswert gilt,
ich übersah das Lächeln.
Ihr machte das nichts. Sosehr ich mich auch mühte, die junge
Frau und ihr Lächeln zu ignorieren, so sehr war ich doch an der
Wirkung meines Verhaltens interessiert. Und ich registrierte, daß
sie von meiner offen zur Schau gestellten Abweisung nicht
beeindruckt war. Ich fand mich kaum noch in den
Zeitungsspalten zurecht, wollte an einer Stelle weiterlesen, wo
ich bestimmt nicht aus der Reihe gekommen war, bei einem
Bericht über eine Rassegeflügelschau. Schließlich fand ich den
Anschluß wieder. »Noch keine Erkenntnisse zur Fahrerflucht in
Groß-M.« Das war es, was meine Anteilnahme geweckt hatte, lag
doch Groß-M. nur wenige Kilometer von meinem Wohnort
entfernt. Ich erinnerte mich. Vor einiger Zeit war eine
zwanzigjährige Konsumverkäuferin nachts von einem Auto
erfaßt und schwer verletzt worden. Das Ereignis war noch
immer Hauptgesprächsthema in dieser Gegend. Die junge Frau
befand sich auf dem Heimweg von einer Geburtstagsfeier, als
das Unglück geschah. Der Autofahrer ließ sie mit ihren
Verletzungen am Bordstein der Dorfstraße liegen. Erst etwa eine
Stunde später wurde sie von Passanten entdeckt. Sie lag noch
immer auf der Intensivstation des Kreiskrankenhauses. Es werde
jetzt, so hieß es in der Meldung, nach einem hellgrünen Wagen
gesucht, der zu jener Nachtzeit unterwegs gewesen ist.
Solche Meldungen wühlen mich auf; ist es mir doch
unvorstellbar, daß ein Mensch einen anderen verletzen und dann
noch liegenlassen kann. Unwillkürlich schaute ich mich im Abteil
um. Doch ich fand keinen Fahrgast, dem auch nur ein Anflug
von solcher Brutalität im Gesicht stand. Mein Blick war wieder
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bei der mir gegenübersitzenden jungen Frau. Nun hatte sie
aufgehört zu lächeln. Aber weitaus Schlimmeres bahnte sich an.
Ich verspürte darüber keine Genugtuung, sondern bemerkte –
pfui Teufel –, daß ich es nun war, der lächelte. Sie hatte ein Buch
aus der hellblauen Umhängetasche gezogen und zu lesen
begonnen. Das alarmierte meine Neugier, erkannte ich doch an
dem schwarzen Einband jene berühmte Reihe, die seit Jahr und
Tag Weltliteratur in breiter Fächerung bietet. Sosehr ich mich
aber bemühte, Verfasser und Titel konnte ich nicht ausmachen.
Als sich der Zug anschickte, in den Bahnhof Ostkreuz zu
fahren, klappte sie das Buch zu, stand auf und stellte sich an die
Tür. Damit war die Episode beendet. Obwohl auch ich ausstieg,
verlor ich sie aus den Augen. Doch kurz darauf, im Zug auf dem
benachbarten Gleis, saß sie wieder in meinem Wagen, jedoch
nicht im gleichen Abteil. Damit bot sich mir die Chance, sie
etwas genauer zu betrachten. Und plötzlich kam sie mir auf eine
noch undurchschaubare Weise bekannt vor. Ich zermarterte
mein Gedächtnis, ging die Reihen der Mitarbeiterinnen, auch der
früheren, durch, zitierte in einer Art Geisterbeschwörung die
Frauen der Kollegen, soweit ich sie kennengelernt hatte.
Umsonst. Ich zwang mich, Mitfahrerinnen in der S-Bahn am
Morgen oder am Abend zu suchen, die ihr ähnlich wären.
Nichts. Schließlich gab ich es auf und vertiefte mich wieder in
die Zeitung.
Im letzten Augenblick, bevor sich die Türen schon schließen
wollten, erkannte ich meinen Zielbahnhof, sprang auf und
konnte den Zug gerade noch rechtzeitig verlassen. Und ich
glaubte meinen Augen nicht zu trauen, vier oder fünf Meter vor
mir war wiederum die junge Frau. Als sie sich umdrehte, erhellte
sich mein Gedächtnis. »Sibylle?« fragte ich.
»Bin ich«, sagte sie und streckte mir die Hand entgegen.
»Entschuldige, daß ich dich nicht erkannt habe. Aber es
müssen Jahre vergangen sein, seitdem wir uns das letzte Mal
gesehen haben. Eigentlich sollte ich Sie zu dir sagen, denn du
bist inzwischen doppelt so alt.«
»Bleiben wir beim Du. Was hat sich schon geändert?«
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