Blaulicht 278 - Siebe,

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Blaulicht
278
Hans Siebe
Der Hausmeister
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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 1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1989
Lizenz Nr.: 409 160/208/89 LSV 7004
Umschlagentwurf: Frank Leuchte
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung: Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 862 5
00045
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Das Direktionsgebäude des Ossenheimer Fahrzeugwerkes, um
dessen Funktionieren Walter Reichel sich als Hausmeister
kümmerte, überragte mit seinen sechs Etagen die Montage- und
Lagerhallen.
Vor drei Jahren vertraute man Reichel das neue Bauwerk an,
er empfand es als Beförderung, obwohl sein Lohn sich nur
geringfügig erhöhte; wichtiger war ihm, aus dem Kollektiv der
Reparaturbrigade auszuscheiden, in dem sich der Eigenbrötler
schwertat. Als Hausmeister leitete er die werkfremden
»Saubermänner« an, die einmal wöchentlich die Flure reinigten.
Sonst bestand seine Tätigkeit vor allem darin, verbrauchte
Glühbirnen und Leuchtstoffröhren auszuwechseln sowie defekte
Schlösser zu reparieren; bei sechs Etagen mit jeweils
zweiunddreißig Büros eine nie endende Beschäftigung; nicht zu
vergessen die Reinhaltung der in jedem Stockwerk vorhandenen
Sanitärräume.
Das Hausmeisterbüro befand sich im Kellergeschoß, Reichel
betrachtete es als sein Refugium Hierher verirrte sich selten
jemand, seine Aufträge bekam er meist telefonisch übermittelt.
Die übrigen am Kellergang gelegenen Räume bargen
Reinigungsmittel, Büroinventar und Ersatzteile.
Am Nachmittag des letzten Freitags im August führte Reichel
den elektrischen Mäher über den Rasen, auch das gehörte zu
seinen Pflichten. Er schob lustlos das brummende Gerät vor
sich her. Die Rasenfläche vor dem Direktionsgebäude, mit den
darin stehenden Koniferen, die er bei Trockenheit wässern
mußte, war seiner Meinung nach viel zu großzügig bemessen.
Da seine Nickelbrille von der Nase zu rutschen drohte,
trocknete er mit dem Ärmel seines grauen Kittels das
schweißnasse Gesicht.
»Hallo, Handschuh!« rief ein jüngerer Kollege, der in Jeans
und buntem Hemd die Eingangsstufen herabstürmte. »Ein
Verbesserungsvorschlag von mir: Ein Schäfer soll seine
Pfennigsucher drübertreiben. Das erspart Ihnen ’ne Menge
Arbeit! Ein schönes Wochenende!«
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»Danke! Ein gleiches, Kollege Schneider!« rief Reichel ihm
nach, als der andere in Richtung Parkplatz davoneilte. ›Blöder
Fatzke!‹ fügte er in Gedanken hinzu. Er ließ den Stromgriff los,
und der Rasenmäher verstummte. Mit nervös zuckendem
rechten Mundwinkel starrte Reichel dem Ingenieur hinterher.
Der Scherzname »Handschuh« war vor einem Jahr
aufgekommen und haftete ihm an wie eine Klette dem wollenen
Pullover. Damals fing er an, bei schmutzigen Arbeiten seine
Hände mit Gummihandschuhen zu schützen.
Auf den Mäher gestützt, gab sich Reichel einem seiner vielen
Tagträume hin, vertauschte seine Position mit der des Ingenieurs
Schneider, ließ diesen in den grauen Kittel schlüpfen und den
Mäher über die Grasfläche schieben, sich selbst sah er in dem
Büro sitzen, in der fünften Etage, mit dem Ausblick über
Ossenheim hinweg bis zu den bewaldeten Hügeln. An
Schneiders Statt lief er durch die Werkhallen, verteilte
anerkennende Worte an bewährte Kollegen, rügte, wo es
notwendig war, und man begegnete ihm mit Respekt.
In den liebsten seiner Träume versetzte er sich, als der Wolga
des Kombinatsdirektors vor dem Eingang stoppte und Doktor
Schubert ausstieg. Nicht allein der Ranghöhe wegen sah er sich
auf dessen Posten, mehr noch deshalb, weil der Doktor eine
gewisse Ähnlichkeit mit ihm hatte; auch Schubert war nur
mittelgroß und besaß schütteres aschblondes Haar, doch statt
einer Nickelbrille trug er eine aus breitrandigem Schildpatt, die
seinem Gesicht etwas Markantes verlieh.
Es widerstrebte Reichel, in Schuberts Gegenwart untätig zu
sein, er drückte den Stromgriff und schob den Rasenmäher
wieder vor sich her. So entging ihm der freundliche Zuruf seines
obersten Chefs, aber dessen grüßende Handbewegung erwiderte
er.
An seiner Stelle, dachte Reichel, ginge ich zu meinem
Hausmeister hin, reichte ihm die Hand und fände ein paar
Worte. Die Vorstellung, daß Schubert und nicht er den
Rasenmäher schob, ließ ein zufriedenes Grinsen in seinem
Gesicht erscheinen.
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