Blaulicht 196 - Tessmer,
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Blaulicht
196
Linda Teßmer
Der letzte Besuch
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1979
Lizenz-Nr.: 409-160/105/79 · LSV 7004
Umschlagentwurf: Peter Laube
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
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Karin, Karin… Kopfschüttelnd blickt Hanni Lübken zu ihrer
Kollegin hinüber, die am Schreibtisch sitzt, emsig Zahlen kritzelt
und so tut, als sei die Welt in Ordnung.
Hanni Lübken steckt in der Zwickmühle. Wie soll ich das
Beate beibringen, geht es ihr pausenlos durch den Kopf. Immer
noch klingt ihr die unsichere Stimme Beates in den Ohren, als sie
mit ihren Problemen zu ihr kam. Beate, mittelschlank, braunes
Haar und ein fast faltenloses Gesicht trotz ihrer fünfzig Jahre,
deren Platz am Schreibtisch leer ist.
Wie ratlos sah sie aus, als sie das Foto des Mannes zeigte und
von dem Geld sprach, das sie ihm gegeben hatte, ohne Quittung
und ohne Sicherheit. Seine Worte: »Eine mündliche Zusage wird
doch reichen, wo wir doch jetzt zusammenziehen und das Geld
sowieso in einen Topf kommt…«
Hanni warnte vor allzu großer Vertrauensseligkeit und
betrachtete mit gemischten Gefühlen das gutaussehende
Männergesicht, energische Züge, sanfter Blick, angegraute
Schläfen – ein Mann Anfang Fünfzig, den man durchaus als
Frauentyp bezeichnen konnte. Für gewöhnlich ohne Vorurteil,
gab sie zu bedenken: »Du, sei vorsichtig, der könnte bei zwanzig
sammeln gehen.« Sie legte ihr nahe, kein Geld ohne Quittung zu
verleihen.
Der Gedanke an Beate quält Hanni. Schließlich hatte der
Mann sie bereits zum zweitenmal zur Kasse gebeten. Beate war
verunsichert, klagte, er sei undurchsichtig. Da mußte man doch
helfen. Was heißt hier falsch angebrachte Kollegialität? Hanni
sucht nach einer Rechtfertigung. Karin sollte doch nur seine
Bekanntschaft machen, um herauszufinden, was das für ein
merkwürdiger Zeitgenosse ist. Wer kann denn wissen, daß
Karin… Mein Gott… Das muß ja wirklich ein
außergewöhnlicher Mann sein, wenn sogar Karin ihm auf den
Leim gegangen ist. Noch zwei Tage zuvor war sie empört über
sein Verhalten gegen Beate. Du lieber Himmel! Wenn man sich
vorstellt, daß Beate und Karin…
Bekümmert sieht Hanni, wie Karin Brandt ihren Arbeitsplatz
verläßt und hinausgeht. Wilma Fox, die andere Kollegin, schaut
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ihr nach, ein merkwürdiges Lächeln im Gesicht. Ob sie etwas
gemerkt hat? Hanni Lübken fingert nervös an einer Mappe. Sie
will ebenfalls zur Tür, aber der aufmerksame Blick der anderen
hält sie davon ab. Schließlich nimmt sie die Mappe, murmelt
etwas von Konstruktionsbüro und verläßt eilig den Raum. Sie
findet Karin Brandt in der Garderobe. Die junge Frau steht vor
dem Spiegel und kämmt sich das lange Haar. Sie sind allein.
Durch das Fenster ist der Werkhof zu sehen. Arbeiter laden
gerade Eisenstangen auf. Hanni Lübken lehnt sich gegen einen
der grauen Metallschränke und sieht die andere im Spiegel an.
Karin weiß, daß sie auf etwas wartet. Flüchtig hebt sie die
Schultern. »Na und? Der Mann gefällt mir auch.«
Wieder diese rücksichtslose Offenheit. Bestürzung überzieht
das sympathische Gesicht Hannis. Sie starrt auf Karins Rücken:
»Und Beate? Das kümmert dich wohl gar nicht?«
Karin kämmt weiter ihr Haar, aufreizend gelassen. Sie ist
schön, doch fehlt es ihr offenbar an Fairneß und Verständnis,
denkt Hanni. Sie tut, als sei es eine ganz und gar
selbstverständliche Sache, Jentscher in dem Lokal anzusprechen
und ihn der anderen auszuspannen.
Was ist das nur für eine Einstellung? Hanni Lübken verhehlt
ihr nicht, wie sie darüber denkt: »Für Beate ist es noch einmal
eine Chance, die letzte vielleicht. Das dürfte auch dir klar sein.
Und was ist es für dich? Ein kleiner Flirt? Was sonst?«
»Beate ist zu alt für ihn. Dafür kann sie nicht. Aber es ist nun
mal so. Bei mir liegt er biologisch richtiger.« Unbekümmert
kokettiert Karin mit ihrem Spiegelbild.
Ihre sichere, selbstbewußte Haltung reizt Hanni über alle
Maßen. »Du glaubst, weil du jünger bist, besitzt du einen
Freibrief. Aber Beate braucht den Mann. Was sie seinetwegen
angeschafft hat, was sie alles tut. Mensch, Karin…«
»Zugegeben, sie hat mehr Geld als ich. Aber ich weiß schon,
wie ich ihn halte.« Das klingt ein bißchen frivol.
Jeder weitere Protest Hannis prallt an Karins flüchtigem
Achselzucken ab.
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